Rasten im optimal richtigen Rhythmus (Bieler Tagblatt, 04. Juni 2004)

Wer rastet, der rostet. Doch das gilt nur für motorische Faulenzer. Denn es ist wissenschaftlich erwiesen, dass mehr leiste, wer sich ab und zu eine Ruhepause gönnt. Denn rasten heisst regenerieren.

von Hedwig Schaffer

Noch nie haben Berufstätige unter so viel Hektik und Stress gelitten wie heute. Gewinnoptimierung und Kostenminimierung setzen die Geschäftsleitungen unter Druck. Sie geben diesen Druck nach unten weiter, indem sie von der Belegschaft immer mehr Effizienz und Produktivität verlangen. Auch das "human capital" muss schliesslich rentieren. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Menschen keine Maschinen sind. Körperliche wie geistige Arbeit verbraucht Energie: Energieverbrauch leert die Batterie. Und Batterien müssen von Zeit zu Zeit wieder aufgeladen werden. Das weiss jeder Handybesitzer und bald jedes Kind.

<h2>Restpoint eröffnet</h2>

Menschen, die die Entwicklung zu immer mehr Leistungsdruck mit Sorge verfolgen, versuchen Gegensteuer zu geben. Zu ihnen gehören Bernhard und Elsbeth Brändli-Dietwyler. Sie haben die Firma R&A (Ruhe und Aktivität) gegründet. Der Geschäftsleitung gehören auch Barbara und Melchior Ryser-Inderbitzin an: ein seit Jahren in der Persönlichkeitsentwicklung tätiges Paar. R&A möchte mit vorläufig sechs Mitarbeitenden in allen Bereichen und Lebenslagen den Ausgleich zwischen Ruhe und Aktivität fördern. An der Sumatrastrasse 5 in Zürich wurde 2001 der erste öffentliche Ruheraum eröffnet. Ein Projekt, das Peter Schneck leitet. Vorträge, Seminare und Kurse werden zu den Themen Ruhepausen und Restpoints durchgeführt. Firmen, Hotels und Institutionen der öffentlichen Hand, die ein Ruheprogramm realisieren möchten, werden auch individuell beraten. Modewörter wie "Power-naps" und "Chill-outs" sind heute ebenso in aller Leute Mund wie der Slogan "mach mal Pause." Das ist nur logisch, denn die Menschen spüren mehr oder weniger bewusst, dass das Pausieren nach intensiven Aktivitätsphasen nötig ist - nicht nur im Arbeitsleben, sondern auch nach dem Essen und sportlichen Aktivitäten. Der Körper signalisiert uns, wann die Zeit zum Aussetzen gekommen ist: Die Konzentration lässt nach, wir gähnen und fühlen uns matt, ein Hunger- oder Durstgefühl kommt auf. Zerstreutheit und Tagträume stören unsere Aufmerksamkeit.

<h2>Zwanzig Minuten</h2>

Laut Schneck und Ryser müssen nun eine zwanzigminütige Liegepause eingeschaltet werden. Nach dieser Phase des "dolce farniente" sind wir wieder fit und hundertprozentig aktiv. Und per Saldo haben wir im Rahmen eines Tagewerks mehr erreicht als wenn wir uns in den kritischen Momenten mit Kaffee und anderen Muntermachern aufgeputscht hätten. Rasten sollten wir laut den Experten von R&A jeweils nach einem zweieinhalb- bis dreistündigen Einsatz.

Konzentration und Aufmerksamkeit, Fachwissen und Weiterbildung, aber auch soziale Kompetenz und Entscheidungsfähigkeit sowie die körperliche Leistungsfähigkeit sind die Ressourcen, dank denen wir unser Leben verdienen. Sind diese Ressourcen erschöpft, schalten wir statt zu pausieren leider unser persönliches Energiesparprogramm ein. Dies erreichen wir, indem wir innerlich abschalten und uns nur noch reaktiv statt initiativ verhalten. Im Laufe der Zeit bildet sich ein Teufelskreis: Je erschöpfter wir sind, desto weniger Aufgaben können wir bewältigen, und umso häufiger unterlaufen uns Fehler. Und dann verlangt uns das Korrigieren der Fehler zusätzliche Energie ab.

<h2>Gravierende Folgen</h2>

Die Folgen dieses Teufelskreises sind ebenso fatal wie teuer: Erschöpfte Menschen verlieren die Freude an der Arbeit und schliesslich generell am Leben. Ihre Gesundheit nimmt Schaden - das Immunsystem wird geschwächt. Viele von ihnen erleiden ein "Burnout" - manche fallen in eine tiefe Depression. Übermüdete Autolenker bauen während eines Sekundenschlafs einen Unfall. Fazit: Durch Übermüdung entstehen soziale und wirtschaftliche Kosten, die man durch gezieltes Einhalten von Liegepausen vermeiden könnte. Bislang ausschliesslich im Raum Zürich und in Luzern tätig gewesen, möchte R&A ihre Aktivitäten jetzt auf die ganze Schweiz ausweiten.